Die erste Zeit als junge Familie ist hoch emotional aufgeladen, unrealistisch wie kaum etwas vergleichbares und vor allem: sehr wertvoll. Noch immer hat das Wochenbett hierzulande aber einen niedrigeren Stellenwert als in anderen Ländern und Kulturen. Stephanie Johne ist Journalistin (www.stephaniejohne.com) und Doula (www.warrior-woman.net) und hat im Zuge ihrer Arbeit die Erfahrung gemacht, dass den Frauen selbst oft das Wissen fehlt. Wie lange dauert das Wochenbett? Warum ist es so wichtig? Wie lässt es sich im Vorfeld planen? Ein wichtiger Wegbegleiter für ihre Arbeit ist für Stephanie Johne das Buch „Build Your Nest“ von Kestrel Gates. Was es damit auf sich hat, warum es unser Denken entscheidend verändern kann und warum sie dabei eure Hilfe braucht, lest selbst:
Das Interview

Liebe Stephanie, haben wir die Bedeutung des Wochenbetts vergessen?
„Ja und nein. Ich glaube sie ist im Zuge unseres schnelllebigen Alltags einfach abhanden gekommen. Es fällt uns ja in allen Lebenslagen zusehend schwerer, einfach mal nichts zu tun. Vor allem Frauen haben immer das Gefühl, sich beweisen zu müssen. 40 Tage – das ist in vielen traditionellen Kulturen die Zeitspanne, die ein Wochenbett dauern sollte – „auf der faulen Haut“ zu liegen, passt da nicht ins Konzept. Dabei wäre es so wichtig für die vollständige Genesung und einen entspannten Start ins Familienleben.“
Was macht ein „gutes“ Wochenbett überhaupt aus?
„Ruhe, Ruhe, Ruhe. Das heißt nicht, dass die Mutter komplett von der Außenwelt abgeschottet sein muss, sondern eher, dass sie sich nicht um Alltägliches sorgen sollte. Wäsche waschen, putzen, kochen – all diese Dinge haben sie die ersten 40 Tage bestenfalls nicht zu kümmern. Es ist extrem wichtig, dass ihre Bedürfnisse erhört werden. Dass sie die Seele baumeln und die leeren Batterien wieder auftanken kann. Eine Schwangerschaft und eine Geburt fordern einer Frau viel ab, 40 Wochen lang hat sie sprichwörtlich nur gegeben. Das Wochenbett ist dann die Zeit des Nehmens, um die Balance zu wahren.“
Warum ist es so wichtig, wie wir die erste Zeit nach der Geburt verbringen? Schwangerschaft vorbei, Geburt überstanden und Kind da. Eigentlich ist doch jetzt alles geschafft, oder?
„Das ist genau der Trugschluss, den wir fast einstimmig in der westlichen Welt pflegen. Wenn wir uns traditionelle Kulturen weltweit anschauen, dann ist das Wochenbett als viertes Trimester allerdings ein fester Bestandteil der Schwangerschaft und sollte auch nicht losgelöst davon betrachtet werden. Emotional wie körperlich ist das Wochenbett für viele Frauen die herausforderndste Zeit, weil wir allgemein eben glauben, dass dann ja alles geschafft ist und erwartet wird, dass Frauen nichts als Freude empfinden und schnell zur alten Tagesordnung zurückfinden. Die Realität sieht aber anders aus: Bis alle Organe wieder an ihrem Platz sind, der Körper zu seiner alten Form zurückfindet (was er in dem Sinne nie ganz tut, bitte keine falschen Erwartungen) und alle möglichen Verletzungen verheilt sind, dauert das. Das meiste von diesen Dingen spielt sich für die Außenwelt im Verborgenen ab, weil es keine sichtbaren Veränderungen sind, wie die während der Schwangerschaft. Sprich, es ist an den Frauen, darüber zu reden, wenn es ihnen noch nicht wieder gut geht. Viele trauen sich das aber nicht, auch weil die meisten Themen rundum den weiblichen Intimbereich noch immer sehr schambehaftet sind. Davon abgesehen ist eine Geburt ein einschneidendes Erlebnis, das emotional verarbeitet und verinnerlicht werden will. Allein dafür braucht es Zeit und Ruhe.“
Du schwärmst von „Build Your Nest“, einem Buch von Kestrel Gates. Wer ist diese Frau und warum ist dir „Build Your Nest“ so wichtig?
„Kestrel Gates ist selbst Mutter von zwei Kindern und hat im Zuge ihrer eigenen Erfahrungen erkannt, wie wichtig es ist, sich als Frau diese Auszeit zu nehmen und zuzugestehen. Sie unterstützt Frauen und Familien seit langem in dieser sensiblen Phase und hat aufgrund ihrer Erfahrungen „Build Your Nest“ geschrieben. Die „Fahrpläne“ anhand derer das Wochenbett akribisch geplant und vorbereitet werden kann, basieren also auf der Erfahrung vieler Frauen, auch die Themen, die einer Frau im Wochenbett begegnen können, sind aufgrund dessen breit abgedeckt und vielfältig behandelt. Kestrel Gates lebt in einer hauptsächlich mexikanisch geprägten Community und ist verheiratet mit einem Japaner, sie kennt viele der traditionellen Postpartum-Gepflogenheiten also aus erster Hand. Ich selbst arbeite als Doula mit Frauen in dieser Zeit und plane auch das Wochenbett mit ihnen (allerdings noch immer zu selten). Ihr Buch war der größte Aha-Effekt für mich und macht die Arbeit seitdem so viel leichter. Vor allem, weil sie so nahbar und praxisbezogen vor Augen führt, wozu das alles. Alle Frauen, die ich seitdem mithilfe ihres Buches begleitet habe, sind so dankbar dafür.“
Du bist selbst Mama. Wie sah dein eigenes Wochenbett aus? Was hättest du gerne vorher gewusst, rückblickend vielleicht auch anders gemacht?
„Ich hatte im Vorfeld geglaubt, zwei Wochen danach wieder fit zu sein und alleine zurecht zu kommen. Mein Partner wäre damals zu dem Zeitpunkt beruflich mehrere Wochen am Stück unterwegs gewesen. Ein Glück hat er sich vorab dagegen entschieden. Ich hätte tatsächlich einfach gerne ehrlich von anderen Frauen gehört, was es bedeutet, ein Kind zu bekommen und in die Rolle als Mutter zu wachsen. Viele reden immer nur von der Geburt, ich fand die Zeit danach allerdings viel herausfordernder. Es ist wichtig, den Frauen zu erklären, dass es Zeit braucht, bis der Körper die letzten 40 Wochen der Schwangerschaft verarbeitet hat – physisch wie psychisch – und sie dabei vor allem emotional zu begleiten. Damit diese Emotionen den nötigen Raum bekommen, ist es wichtig, die Mama von allen Verpflichtungen freizusprechen, damit sie und ihr Baby sich einspielen und ankommen können. Ein wohlgehütetes Wochenbett macht einen enormen Unterschied, wie sich Frauen langfristig in diese Rolle finden und allen zukünftigen Herausforderungen stellen können!“

In meinem Umfeld gibt es kaum Wöchnerinnen. Kurz nach der Geburt scheint der Alltag schon wieder eingekehrt zu sein: Besuch, Shoppingtouren und Reisen. Welche Auswirkungen hat es auf das Baby und die junge Familie auf Dauer gesehen, wenn man sich kein Wochenbett gönnt?
„Die gesundheitlichen Auswirkungen sind noch immer zu wenig erforscht. Die Schulmedizin hat bis dato kaum einen Zusammenhang zwischen dem Einhalten des Wochenbetts und beispielsweise einer reibungslosen Menopause bei Frauen gesehen, tut das aber zusehend. Die Chinesische Medizin oder auch Ayurveda haben dazu aber seit vielen tausenden Jahren ihre ganz eigene Meinung und wissen, dass es da sehr wohl einen Zusammenhang gibt. Frauen sind zyklische Wesen. Jede Phase hat ihre Berechtigung und bringt Veränderungen mit sich, die uns prägen. Wir haben allerdings verlernt, mit diesen zu leben und unserem Körper zuzuhören. Die meisten Frauen strudeln im Zuge dessen irgendwann im Leben, weil sie versuchen, allen Rollen gerecht zu werden und sich darüberhinaus selbst vergessen. Aber nur eine Gesellschaft, in der es den Frauen (im Grunde natürlich allen Menschen) gut geht, ist eine gesunde Gesellschaft. Eine Mutter, die nicht in ihrer Kraft ist, wird schnell überfordert sein. Wir müssen wieder lernen, auf uns zu schauen und für uns zu sorgen und Hilfe anzunehmen, gerade als Mütter. Das Wochenbett ist da nur die erste (und vielleicht wichtigste) Lektion dahingehend. Nehmen statt immer nur geben. Füreinander dasein und auszusprechen, wenn man nicht weiter weiß. Wenn wir das als selbstverständlich sehen, etablieren wir das auch für unser restliches Leben. Nur so können wir Kinder großziehen. Es heißt nicht umsonst It takes a village…“
Mal ganz praktisch gefragt: Wie kann ich mich am besten auf mein Wochenbett vorbereiten?
„Das Umfeld instruieren und ihnen klar machen, warum das so wichtig ist. Sie bitten, nicht einfach vorbeizukommen, um das Baby zu sehen, sondern Privatsphäre akzeptieren und wenn sie dann da sind, nicht als Gastgeber zu agieren, sondern sich bedienen lassen. Aufgaben vorab klar verteilen (bestenfalls mit Kestrels Buch) – wer bringt wann ein warmes Gericht, wer kann einmal die Woche putzen kommen, mit dem Hund Gassi gehen, Wäsche waschen? Im besten Fall tun die frisch gebackenen Eltern die ersten Wochen nichts anderes als zu kuscheln und sich zu erholen. Auch die Väter sollten bestenfalls nicht die sein, die plötzlich alles machen müssen. Sie schlafen meist genauso wenig und dürfen erst in ihre Rolle wachsen. Viele Eltern, die das alles nicht in Betracht gezogen haben, brennen schnell aus. Das endet oft darin, dass Beziehungen das erste Jahr mit Baby nicht überstehen. Das soll niemandem Angst machen, denn mit etwas Unterstützung kann das die schönste Zeit überhaupt werden, die sich viele Familien oft sogar zurückwünschen. Und noch etwas: Wer sein Umfeld um Hilfe bittet und annimmt, gewährt ihm im Umkehrschluss auch die Erlaubnis, später das selbe zu tun. So schaffen wir langsam wieder eine Gesellschaft, in der das Füreinander (wieder) an erster Stelle steht.“
Wie kann man euch dabei helfen, dass „Build Your Nest“ auch hierzulande erhältlich sein wird?
„In dem man die Crowdfunding-Kampagne unterstützt und schlicht und ergreifend das Buch auf Deutsch bereits vorbestellt. Uns hilft das, die Kosten für die Übersetzung und die erste Auflage zu decken, frisch gebackenen Familien, um diese Zeit möglichst zurückgezogen und mit dem bestmöglichen Support zu erleben. Selbst wer keine Familie plant, wird es nicht bereuen, das Buch zu kaufen – Kinder werden im Umfeld immer wieder geboren. Das Buch ist das perfekte Geschenk für werdende Eltern, vielleicht sogar eines der wichtigsten. Ansonsten hilft es uns natürlich, wenn möglichst viele von dem Buch erfahren. Also gerne dieses Interview und die Kampagne teilen, teilen, teilen. Ich glaube fest daran, dass für unsere Töchter das Wochenbett dann schon wieder das normalste der Welt sein wird.“
Zum Schluss: Was denkst du, wie sehr zieht sich ein guter oder schlechter Start ins Leben durch unser gesamtes restliches Leben?
„Zusammengefasst ist ein guter Start sowohl für die Gesundheit der Frau als auch für das Leben als Paar und das sanfte Landen des Babies essentiell. Babies verarbeiten alles, was um sie herum passiert. Unausgeglichene Eltern und ein stressiges Umfeld werden nicht dazu beitragen, dass sie sich sicher und geborgen fühlen. Dafür bräuchte es nicht einmal schulmedizinische Studien, um das zu belegen, sondern nur einen gesunden Menschenverstand. Dasselbe gilt für die Eltern: Ein Haushalt, indem sich Berge von schmutziger Wäsche und Geschirr türmen, ist kein erholsames Umfeld. Eine Mama und ein Papa, die seit Tagen nicht geduscht oder nichts Richtiges gegessen haben (als vielleicht einhändig geschmierte, improvisierte Brote) werden sich sicher das ein oder andere Mal fragen, was sie sich da aufgehalst haben. Eine Familie zu gründen ist eine der schönsten aber herausforderndsten Entscheidungen. Eine Entscheidung, die alle etwas angeht – nicht nur die jungen Eltern, sondern auch die Großeltern, den Freundeskreis, kurzum die ganze Gesellschaft. Wie schon gesagt, It takes a village…“
„Build Your Nest“ ist bislang nur auf Englisch, Spanisch und Russisch erschienen. Stephanie Johne und Kestrel Gates möchten es nun auch nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz holen – damit auch den Frauen und Familien hier dieselben Ressourcen zur Verfügung stehen wie in anderen Ländern. Wer ihnen dabei helfen will, findet hier ihre Crowdfunding-Kampagne.
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Update:
Die Crowdfunding-Kampagne war erfolgreich und „Build Your Nest“ wird somit auch auf Deutsch erscheinen – juhu!