Hommage an meinen Bauch

Lieber Bauch,

unsere Beziehung war nicht immer die einfachste. Es gab oft Momente, in denen wir uns nicht ansehen wollten oder konnten. Momente, in denen ich mir wünschte, du wärst anders. Zugegeben, ich hatte hohe Ansprüche an dich: Du hättest straff, schlank und am besten unsichtbar sein sollen. Mehr als einmal hast du dich aber unter der Kleidung abgezeichnet, ganz nach dem Motto: „Hier bin ich, seht mich an!“ Während wir in jungen Jahren noch ziemlich gut miteinander auskamen, hat sich das mit der Pubertät radikal geändert. Du hast mehr gewollt, bist mehr geworden und ich konnte dich kaum noch bändigen. Auch wenn Außenstehende unser Problem nicht verstanden, wir beide waren zu diesem Zeitpunkt schlichtweg unzufrieden.

In den letzten Jahren wurde es dann überraschend besser, wir kamen relativ gut miteinander aus. Leben und leben lassen. Wir arrangierten uns miteinander und du zogst dich ein Stück zurück. Und dann hat sich alles auf einen Schlag geändert: Du hattest plötzlich einen kleinen Erdenbürger in dir. Dabei fühlte sich doch alles ganz normal an, eben so wie immer. Doch uns war beiden klar, dass uns in den nächsten Wochen und Monaten eine riesige Herausforderung auf unserem gemeinsamen Weg bevorstehen würde. Du hast dich in dieser Zeit sehr verändert. Begonnen hat es ganz harmlos mit einer kleinen länglichen Verfärbung: Der Linea nigra. So wie auch dieser Strich immer intensiver und größer wurde, hast auch du dich von Tag zu Tag, Woche zu Woche verändert. Du wurdest größer und härter. Irgendwann standest du zwischen mir und dem restlichen Körper, es hat nur noch dich gegeben. Du warst der Mittelpunkt. Und du wolltest gehegt und gepflegt werden und hast dich in deiner neuen Rolle als runde Babykugel sichtlich wohlgefühlt. Ich musste mich erst daran gewöhnen, dass man dich schon von weitem sehen und längst nicht mehr verstecken konnte. Aber du hattest dazu jegliches Recht. Denn in dir ist neues Leben herangewachsen. Und dafür möchte ich dir danken. Dafür, dass du mir das größte Geschenk gemacht hast: Krümel.

Und heute nach der Geburt? Ja, natürlich siehst du nicht mehr aus wie vor Beginn dieser Reise. Aber auch ich habe mich verändert. Diese unglaubliche Erfahrung hat uns uns näher gebracht. Und ganz ehrlich: Du siehst klasse aus! Noch nie habe ich dich so sehr gemocht wie jetzt. Klar, du bist ein wenig verweichlicht und hängst oft noch ziemlich viel in der Gegend herum, aber ich weiß, was du geleistet hast. Und mit jedem Blick in den Spiegel sehe ich deshalb nicht die kleinen Speckfalten – ich sehe einfach dich.

 

Mehr zum Thema Muttergefühle findest du auch hier.

8 Kommentare zu „Hommage an meinen Bauch

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